Sammelband

Eine grundlegende Prämisse in der religionswissenschaftlichen Forschung ist, dass persönliche, biografische und religiöse Prägungen in der Darstellung anderer Religionen keine Rolle spielen sollen. Forscher sollten ihre eigenen Erfahrungen und religiösen Hintergründe beiseitelegen, „in Distanz zu sich treten,“ um Religionen „neutral und objektiv“ zu betrachten und darzustellen. Die Forschung sollte unabhängig von religiösen, atheistischen oder agnostischen Weltanschauungen sein und sich auf eine neutrale Epistemologie und Methodologie stützen.

Andererseits wird von Religionswissenschaftler*innen in der Regel heute selbstverständlich erwartet, dass sie, sofern sie sich mit lebenden Religionen beschäftigen, diese auch empirisch erforscht haben. Es wird erwartet, dass sie Auslandsaufenthalte in den Ländern und Kulturen nachweisen können, dass sie auf persönliche Begegnungen und Erfahrungen zurückgreifen können. Auch in anderen Berufsfeldern erwerben Menschen oft Kernkompetenzen durch die Begegnung mit anderen Kulturen und Religionen.

Hier ist eine offensichtliche Diskrepanz festzustellen. Einerseits werden persönliche Erfahrungen, Kultur- und Sprachaufenthalte, sowie Lernen durch Begegnungen mit anderen Kulturen als wichtige Voraussetzung für religionswissenschaftliche Expertise und Bereicherung der berufspraktischen Erfahrungen angesehen. Andererseits wird erwartet, dass diese persönlichen Erfahrungen in der Beschreibung und Darstellung zumindest aus religionswissenschaftlicher Perspektive weitgehend ausgeklammert und nicht berücksichtigt werden.

Ziel des Symposiums und Sammelbandes ist, herauszufinden, welche Bedeutung weltanschauliche und religiöse Prägungen, persönliche Erfahrungen, Begegnungen und Auslandsaufenthalte auf die persönliche Entwicklung wie auch die akademische Expertise von Personen haben, die sich mit anderen Religionen und Kulturen beschäftigen.

Gleichzeitig soll untersucht werden, inwieweit es möglich ist, persönliche Erfahrungen einzubeziehen, ohne in eine unkritische „Krypto-Theologie“ zu verfallen, die diese Erfahrungen als normativ betrachtet oder die Darstellungen von Religionen aus einer persönlichen bzw. bestimmten weltanschaulichen Perspektive verzerrt.

Der Band will somit einen Beitrag zu einer der grundlegenden Prämissen und methodischen Herangehensweise der Religionswissenschaft leisten – zum Zusammenhang von weltanschaulichen Prägungen sowie biografischen Austauscherfahrungen und religionswissenschaftlicher und beruflicher Expertise in Bezug auf andere Religionen.